Ihrem „Frühchen“ virtuell nah sein

Fast zehn Prozent aller neugeborenen Kinder in Deutschland kommen zu früh zur Welt – Tendenz steigend. Seit Jahren nimmt die Zahl der Frühgeburten zu. Vor diesem Hintergrund starten die Klinik für Neonatologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die mybabywatch GmbH aus Siegen (aufgelöst: 24.07.2014) und die Barmer GEK ein Forschungsprojekt, das den Nutzen eines virtuellen Besuchssystems während der stationären Behandlung von Frühchen wissenschaftlich untersucht.

Frühgeborene Babys müssen oft noch Wochen und Monate im Krankenhaus versorgt werden, ohne dass die Eltern immer persönlich bei ihnen anwesend sein können. Damit die Eltern ihrem Kind möglichst oft nah sein können, hat die mybabywatch GmbH ein virtuelles Besuchssystem entwickelt, mit dem sie ihr Kind rund um die Uhr via Livestream im Internet beobachten können.

Schauen, wie sich Ihr Kind entwickelt

Zusätzlich erhalten die Eltern online aktuelle Informationen über die Entwicklung ihres Babys, zum Beispiel über Gewicht, Größe und Körpertemperatur. Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK: „Wir wollen herausfinden, wie wir Eltern und Kind in dieser Extremsituation noch intensiver unterstützen können. Vielleicht können moderne Kommunikationsmittel dabei helfen.“ Der verantwortliche Leiter des Forschungsprojektes, Dr. Hans Proquitté von der Klinik für Neonatologie der Charité, betont: „Die Anwendung des Systems darf nicht dazu führen, dass die tatsächliche Besuchsfrequenz der Eltern darunter leidet. Aus Sicht der Kliniken steht die Stärkung der Elternkompetenz und Optimierung der Eltern-Kind-Beziehung im Mittelpunkt.“

Nutzen für beide Seiten

Idealerweise ließe sich das im Rahmen des Projektes entwickelte System auch für andere Problemlösungen im medizinisch-pflegerischen Bereich perspektivisch verwenden. Untersucht werden bei dem Forschungsprojekt unter anderem die Akzeptanz des von mybabywatch betriebenen Systems bei Eltern und Klinikpersonal, dessen Einfluss auf die Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung und mögliche Auswirkungen darauf, wann die Eltern sich sicher genug fühlen, ihr Baby nach Abschluss der intensivmedizinischen Betreuung mit nach Hause zu nehmen. Dazu werden sowohl die Nutzungsdaten evaluiert als auch Befragungen der Eltern und des Klinikpersonals durchgeführt und wissenschaftlich ausgewertet.

Im Frühjahr 2012 soll das Forschungsergebnis vorliegen

Jedes Kind, das vor der 37. Schwangerschaftswoche und damit mehr als drei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt kommt, ist ein sogenanntes Frühchen. Meist kommt ein geringes Geburtsgewicht von weniger als 2.500 Gramm hinzu. Diese Frühchen sind oft Wochen und Monate auf intensive medizinische Versorgung angewiesen. Die Zahl der Frühchen ist allein zwischen 2001 und 2007 um 51 Prozent gestiegen.

Doktorarbeit

Winter, Martina (01/08): Einsatz und Nutzung eines WWW-basierten Kamerasystems auf einer Neugeborenen-Intensivstation

Jahresbericht der Charité (Seite 23, lfd. Nr. 33)

Kongressbeitrag

Einsatz und Nutzung eines WWW-basierten virtuellen Besuchssystems auf einer Neugeborenenintensivstation

siehe https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0029-1223006

  • Einleitung: Die Aufnahme eines Neugeborenen auf eine Intensivstation belastet junge Familien sehr. WWW-basierte Kamerasysteme bieten den Eltern die Möglichkeit, virtuell mit ihren Kindern zu kommunizieren. Auslastung und Nutzung des Kameraprojekts „Sternchenstunde“ sowie die Abhängigkeit von personenspezifischen Charakteristika der Nutzung werden dargestellt.
  • Methodik: 403/1212 in der Charité geborene Neugeborene wurden von 10–2006 bis 08–2007 stationär betreut, Eltern von 122 Kindern nahmen teil. Passwortgeschützt konnten die Eltern ohne Einschränkung von Zeitpunkt oder Dauer ihre eigenen Kinder via WWW beobachten. Die Nutzung der Eltern wurde durch Erfassung von Zeitpunkt und Dauer der Einwahl anhand der miterfassten IP-Adressen dokumentiert.
  • Ergebnisse: Das Geburtsgewicht der 122 Kinder (34SSW: 24–40SSW) betrug im Median 1975g (410–4475g). Das Alter der Mütter lag im Median bei 30 (19–42) Jahren und das der Väter bei 32 (22–53) Jahren. Angestellte, Akademiker und Arbeiter waren die vorherrschenden Berufe. Die Entfernung vom Wohnort (1,4 km–464,3km) hatte keinen Einfluss auf die mittlere Nutzungsdauer (31,9% des Tages) mit einer Häufung am Sonntag und Dienstag. Während die Besuchshäufigkeit über die Verweildauer der Kinder abnahm, kam es zur Verdreifachung der Nutzungsdauer im selben Zeitraum. Der Kameraeinsatz wirkte sich bei 38/122 Kindern gegenüber 45 Kindern (Geburtsgewicht alle <1500g) ohne Kameraeinsatz nicht reduzierend auf die Verweildauer aus.
  • Diskussion: Trotz zunehmender Nutzung der Kameras mit Häufung am Sonntag war keine Reduktion der Verweildauer in der Subgruppe von Kindern <1500g nachweisbar. Wichtig für die Akzeptanz sind einfache Algorithmen und Datensicherheit.

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