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Der Anteil männlicher Teil- und Elternzeitler steigt. Wie geht die Erwerbswelt, wie gehen Organisationen damit um? Werden nur „Vollzeit-Männer“ ernst genommen? Der Autor analysiert die Struktur von Arbeit und Geschlecht theoretisch und historisch. Seine Interviewstudie beleuchtet praktische Problemfelder männlicher Familienvereinbarkeit in fünf Großorganisationen.
Eine Betriebsstudie von Dissens Mitarbeiter Marc Gärtner (2012)
Wird die Balance von Arbeit und Familie zum Thema, sind meist Frauen angesprochen, die seit einigen Jahren Kinder und Karriere unter einen Hut bringen wollen, sollen und denen dabei geholfen werden muss. Der Genderforscher Marc Gärtner vom Berliner Forschungs- und Bildungsinstitut Dissens geht das Thema von einer anderen Seite aus an. Unter Bezug auf reichhaltiges empirisches Material und mit umfassenden historischen und arbeitstheoretischen Reflexionen fördert er dabei neue Einsichten zutage, die für beide Geschlechter interessant sein dürften.
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Seit einigen Jahren steigt die Zahl von Männern in Elternzeit. Waren es 2006 noch weniger als 4 Prozent, so beziehen nun etwa 25 Prozent aller Väter eine Zeit lang Elterngeld. Auch die Teilzeitquote von Männern wächst. Väterbücher boomen, Gewerkschaften und Parteistiftungen reden von „neuen Vätern“, die Veränderung der Arbeitsgesellschaft lässt dem Modell des männlichen Familienernährers zunehmend „die Luft raus“. Immer mehr Frauen und Männer wollen sich die Arbeit teilen – auch in der Kindererziehung. Drei Viertel aller Väter sehen ihre Rolle nicht mehr vornehmlich als materieller Versorger, sondern im aktiven Kontakt mit ihrem Nachwuchs.
Ist diese Veränderung auch in Betrieben angekommen?
Zwar bemühen sich manche um Familienvereinbarkeit. Doch Marc Gärtners Interviews mit Teil- bzw. Elternzeitlern und Personalverantwortlichen in fünf Großorganisationen zeigen, wie unterschiedlich der Wille und die Reichweite solcher Bemühungen ausfallen können. In einer Behörde fand der Autor vorbildliche Vereinbarkeitsbedingungen vor, gerade weil sich die Amtsleitung überzeugt davon zeigte. Flexible Arbeitszeiten, Entgegenkommen bei Telearbeit, ein Gremium für familienfreundliche Maßnahmen – hier funktioniert das, was Gärtner als „betriebliche Vereinbarkeitspolitik“ bezeichnet. Demgegenüber wussten in einem Energieunternehmen manche Personalverantwortliche nicht viel mit dem Thema anzufangen. Zwar sei man als familienfreundlich zertifiziert, aber das sei vor allem Rhetorik, meinten viele Gesprächspartner. Wann erkennt ein Betrieb den Wert von Vereinbarkeitsmaßnahmen für Männer überhaupt? Wer auf junge Nachwuchsakademiker angewiesen ist, merkt schnell, dass diese oft mehr an flexiblen Zeiten und Kinderfreundlichkeit interessiert sind als am schnellen Aufstieg. Wer bei Fachkräften noch aus dem Vollen schöpfen kann, muss sich da weniger anpassen.
Gender- und Vereinbarkeitsfragen sind grundsätzlich keine Selbstläufer: „Man muss kurbeln“, wie eine Gleichstellungsbeauftragte dem Autor verriet, von alleine laufe da nichts. Für Männer stehen selten Ansprechpartner zur Verfügung, oft werden sie als Adressaten für Vereinbarkeit übersehen – oder schlicht geleugnet. So sagte die Personalchefin einer Bank pauschal: „Unsere Männer sind nicht familienorientiert.“ Dass hier dennoch zum Erhebungszeitpunkt bereits fast 10 Prozent der Männer in Teilzeit angestellt waren, war offenbar kein Thema.
Besonders wichtig sind Führungskräfte
Gärtner bezeichnet sie als „Gatekeeper der Vereinbarkeit“, denn sie können Türen öffnen oder verschlossen halten. Direkte Vorgesetzte sind in der Regel die ersten Ansprechpartner bei Vereinbarkeitswünschen. Oft kooperieren sie, gelegentliche „Blockadefälle“ werden „top down“ ausgeräumt: „Die Linie des Hauses ist, dass wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für sehr wichtig erachten“, so die Personalentwicklerin einer Behörde, „weil unsere oberste Führungsebene auch sehr positiv dem gegenübersteht.“ Es seien aber „einzelne, in der mittleren Führungshierarchie angesiedelte Kräfte, die was dagegen haben, aber die haben, um es mal platt zu sagen, keine Chance mehr heutzutage.“ Das Beispiel macht aber auch klar: Wer bei der Unternehmensleitung keine Rückendeckung findet, ist Blockadehaltungen durch Vorgesetzte ausgeliefert. Zwar widerspricht dies Gesetzen wie dem Teilzeitgesetz von 2001 und dem 2007 eingeführten Elternzeitgesetz. Doch wer riskiert schon schlechte Stimmung und eine interne Versetzung, wenn der Job ansonsten gut ist?
Männer und Familienfreundlichkeit
Noch immer müssen sich Männer mit Teil- oder Elternzeitanträgen fragen lassen: „Haben Sie keine Frau zu Hause?“ Gesetzlichen Vorschriften zum Trotz mauern manche Vorgesetzte oder Personalabteilungen und halten sich dabei an veraltete Geschlechterstereotype. So fühlen sich Männer mit Vereinbarkeitswünschen nicht immer willkommen: „Ich bin der totale Exot hier“, sagte ein Bankjurist in Teilzeit. Wenn Arbeitsweisen somit in Widerspruch zur Betriebskultur geraten, spricht der Autor von „Besonderung“. Dies verweist einerseits auf die „normale“ betriebliche Ordnung, ihre Zeiten und Abläufe, in denen Vollzeit noch der unhinterfragte Standard ist. Andererseits ist damit auch eine Erwartungshaltung an die Geschlechter gemeint: Wenn eine Mutter ein paar Monate zu Hause bleibt oder Teilzeit arbeitet, gilt das als okay (und sogar als falsch, wenn sie es nicht tut). Wenn das Gleiche ein Mann macht, ist das auffällig, kurios, erklärungsbedürftig.
Und doch scheint sich etwas getan zu haben.
Gärtner nennt Vorgängerstudien, denen zufolge Männer in Teil- und Elternzeit noch vielfache Abwertungen erfuhren. Wer als Mann nicht allzeit verfügbar war und sich auch der Familie widmete, galt als „Weichei“, und die Aussicht auf den Aufstieg war dahin. Zwar gelten noch immer Karriereeinschränkungen – der Autor spricht von einer „gläsernen Decke“ für aktive Eltern unabhängig vom Geschlecht. Doch zeigen sich viele Betriebe schon mit den ersten Führungskräften in Elternzeit. Diese sollen freilich bald zurückkehren, zu lange darf die Abwesenheit nicht dauern. Ein Versicherungsinformatiker berichtet von seinen zwei Vätermonaten: „Meine Kollegen mussten viel schultern, teilweise mussten sie Arbeiten übernehmen. Dazu wurde aber keiner extra eingestellt. Insofern musste ich schon danach ran und da auch entsprechend Einsatz zeigen – ganz klar.“ So wird allgemein akzeptiert, dass man(n) sich zwar kurze Zeit der Familie widmen kann, diese Auszeit aber anschließend durch Mehrleistung wieder kompensieren muss. Nachhaltige Familienvereinbarkeit ist so nicht möglich.
Im Schlussteil zeigt der Autor, was sich ändern muss, um auch für Männer eine kontinuierliche Balance von Erwerb und Familie zu gewährleisten. Seine Vorschläge beziehen betriebliches Zeitmanagement und Kommunikationsstandards ebenso mit ein wie die Arbeit an betrieblichen Arbeits- und Geschlechterkulturen. Doch nicht nur betrieblich, auch gesellschaftlich müssen sich Rahmenbedingungen ändern. Eine Normalisierung kürzerer Arbeitszeiten sei notwendig, ebenso wie Maßnahmen, die die Gleichstellung der Geschlechter fördern. Hierzu gehört etwa der Ausbau von Kitaplätzen, aber sicher nicht das überkommene Ehegattensplitting, das Einkommensdifferenzen zwischen Ehepartnern belohnt. Ü;berhaupt wird neuerdings oft behauptet, die Frauenförderung sei überholt, jetzt seien „endlich mal die Männer dran.“ Dies sieht Gärtner differenzierter: Oft seien es gerade Gleichstellungsbeauftragte, die das Thema „Männer und Vereinbarkeit“ pushen. Zwar sei wichtig, Männer als eigenständige Akteure mitzudenken und ihre Interessen zu berücksichtigen; dies sei aber in eine umfassende Gleichstellungsstrategie zu integrieren. Das Ziel müsse sein, eine traditionell auf Männer und deren (weithin auch für diese selbst nicht mehr aktuellen) Lebenslagen zugeschnittene Erwerbswelt familiengerecht zu gestalten, und zwar zugunsten von Männern und Frauen.
Marc Gärtner ist Kultur- und Sozialwissenschaftler. Er forscht als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dissens e.V. in internationalen Projekten zu Männern, Gleichstellung und Erwerbsarbeit. Er promovierte an der FU Berlin und arbeitet als Gender Trainer und Wissenschaftscoach.
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