Rechtsgutachten zum Rechtsanspruch U3 Tagesbetreuung ab 1. August 2013

Dr. Thomas Meysen, Janna Beckmann, Petra Birnstengel, Diana Eschelbach und Stephanie Götte haben für das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) eV ein RECHTSGUTACHTEN zum Rechtsanspruch U3 veröffentlicht. Lesen Sie hier alle 70 Thesen.

Rechtsanspruch U3

I. „Rechtsanspruch U3“: Zielpunkt eines gesellschaftspolitischen und gesetzlichen Programms zum Ausbau der Tagesbetreuung

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  1. Am 1. August 2013 tritt der so genannte „Rechtsanspruch U3“ in Kraft. Gemeint ist die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege, auf die Kinder mit Vollendung des ersten Jahres bis zum Alter von drei Jahren ab dann einen Anspruch haben. Es handelt sich um eine Sozialleistung der Kinder- und Jugendhilfe, die in den §§ 22 bis 26 des Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) geregelt ist.
  2. Die Tagesbetreuung nimmt innerhalb der Leistungen des SGB VIII eine Sonderstellung ein, die vor allem darin besteht, dass die Erbringung der Leistung nicht an einen individuellen Bedarf im Einzelfall geknüpft ist. Vielmehr handelt es sich bei der Kindertagesbetreuung um ein von einer Einzelfallindizierung losgelöstes Infrastrukturangebot, das allen Kindern der betreffenden Altersgruppe zur Verfügung steht.
  3. Über 17 Jahre nach Schaffung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatzfür Kinder im Alter über drei Jahren bis zum Schuleintritt, eingeführt zum 1. Januar 1996, erhalten Kinder mit dem „Rechtsanspruch U3“ nunmehr ab dem Alter von einem Jahr in ganz Deutschland ein rechtlich gesichertes und einklagbares Förderungsangebot in Tageseinrichtungen oder in Kindertagespflege. Angebahnt hat den „Rechtsanspruch U3“ das  Tagesbetreuungsausbaugesetz  (TAG), in Kraft getreten zum 1. Januar 2005, mit einer objektiv-rechtlichen Verpflichtung zur Deckung des Bedarfs an Tagesbetreuung für die betreffende Altersgruppe, dh, einer Pflicht zur Vorhaltung entsprechender Plätze, ohne dass Eltern eine Handhabe hätten, dagegen vorzugehen, wenn die Pflicht nicht erfüllt wird.
  4. Da der Ausbau nur schleppend voranging, haben sich Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände auf dem so genannten „Krippengipfel“ am 2. April 2007 auf einen schrittweisen weiteren Ausbau bis zum Jahr 2013 geeinigt. Das in der Folge auf den Weg gebrachte  Kinderförderungsgesetz  (KiföG),  in  Kraft  getreten  am  16.  Dezember 2008, hat die Zielgröße eines Angebots von 750.000 Plätzen für Kinder im Alter zwischen eins und drei ausgegeben. Die Einführung des Rechtsanspruchs U3 ab dem 1. August 2013 steht auf der letzten Stufe des Ausbaus.
  5. Bei der Verbesserung der Kinderbetreuung handelt es sich um einen „Auftrag von Verfassungsrang“. Konkretisiert werden die Verpflichtung des Gesetzgebers zum Schutz des ungeborenen Lebens (Art. 2 Abs. 2 GG), der Auftrag zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und die Verpflichtung zur Gleichstellung von Frau und Mann bei der Teilhabe am Arbeitsleben (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG). Nach dem Bundesverfassungsgericht liegt die Kinderbetreuung auch im öffentlichen Interesse. Staat und Gesetzgeber obliegt, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu fördern, Möglichkeiten der Entlastung zu schaffen und dafür Sorge zu tragen, dass ein Nebeneinander von Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit möglich ist (BVerfGE 88, 203). Die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe darf nicht zu beruflichen Nachteilen führen und eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit muss ebenso wie ein beruflicher Aufstieg während und nach Zeiten der Kindererziehung möglich sein (BVerfGE 99, 216, 234).
  6. Der Ausbau der Tagesbetreuung ist und war auch wirtschafts- und gleichstellungspolitisch motiviert. Die Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege
    1. ermöglicht die bestmögliche Bildung aller Kinder von früher Kindheit an,
    2. stärkt die Beteiligung gut ausgebildeter Frauen am Erwerbsleben und
    3. leistet somit einen Beitrag zur Chancengleichheit von Kindern sowie zur Gleichstellung von Frauen.

II. Rechtsanspruch für alle Kinder

  1. Als bedarfsunabhängiges Infrastrukturangebot steht der „Rechtsanspruch U3“ allen Kindern zu. Der Umfang des Rechtsanspruchs richtet sich aber nach dem individuellen Bedarf (§ 24 Abs. 2 S. 2 iVm Abs. 1 S. 3 SGB VIII F. 2013).
  2. Gesetzessystematisch entsteht damit eine  Kombination von bedarfsunabhängigem Grundanspruch  und Erweiterung des Grundanspruchs um kind- und elternbezogene Bedarfe. Umfang und Zeiten des Grundanspruchs können von den Kommunen im Zusammenspiel mit den freien Trägern vorgegeben werden (infrastrukturelles Regelangebot). Die Erweiterung des Grundanspruchs richtet sich nach dem individuellen Bedarf der Beteiligten aus der Familie (einzelfallindizierte Erweiterung des Regelangebots).

III. Frühkindlicher Förderungsauftrag: Qualität, Mindestumfang und Tageszeiten

  1. Inhaltlich bezieht sich der Rechtsanspruch auf frühkindliche „Förderung“. Das Gesetz fordert eine ganzheitliche Förderung des Kindes (§ 22 SGB VIII).
  2. Wesensmerkmal der Förderung ist, dass Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege die  Förderungstrias von Erziehung, Bildung und Betreuung zu Gute kommt. Die Leistung grenzt sich damit von der „bloßen Betreuung“ ohne pädagogisches Angebot ab.
  3. Grundbedingung für die Verwirklichung aller drei Bestandteile der Förderung ist die Beziehungsqualität zwischen Kind und Betreuungsperson.
  4. Die Erfüllung des Förderungsauftrags kann nur in einer  qualitativ hochwertigen Tagesbetreuung gewährleistet werden. Auf bundesgesetzlicher Ebene findet das Erfordernis eines qualitativ hochwertigen Angebots Ausdruck in den Voraussetzungen zur Erlaubniserteilung (§§ 43, 45 SGB VIII) sowie in den Qualitätsmerkmalen der §§ 22, 22a, 23 SGB VIII. Die nähere Ausgestaltung findet sich in landesrechtlichen Regelungen zu pädagogischen Mindeststandards wie Gruppenstärken und Personalausstattung sowie in den Bildungsprogrammen bzw -plänen der Bundesländer.
  5. Da ein Erreichen der gesetzlichen Förderungsziele nur bei  Erfüllung bestimmter Mindeststandards gewährleistet ist, müssen über die bisher vorhandenen Regelungen hinaus teilweise auch am Wohl der Kinder orientierte allgemeingültige  fachliche Standards Berücksichtigung finden. Bei einer deutlichen Überschreitung des fachlich geforderten Rahmens ist das Erreichen der Förderungsziele in Frage gestellt und entspricht die Leistung im Einzelfall nicht den Voraussetzungen des Rechtsanspruchs U3.
  6. Die maximale Gruppengröße und der Personalschlüssel bzw die  Fachkraft-KindRelation (Relation zwischen einer tatsächlich  zur Verfügung stehenden Fachkraft zu den betreuten Kindern) werden durch landesrechtliche Regelungen festgelegt. Deren Vereinbarkeit mit den bundesrechtlichen Förderungszielen und damit deren Bundesrechtskonformität (Art. 31 GG) ist jedenfalls dann kritisch zu hinterfragen, wenn die landesrechtlich vorgegeben  Personalschlüssel oder Fachkraft-Kind-Relationen noch über den äußersten Grenzen wissenschaftlich begründeter Mindeststandards für das Erreichen einer förderlichen Tagesbetreuung für die jeweilige Altersgruppe liegen, wobei sich aus der Forschung für Kinder im Alter zwischen einem und zwei Jahren und zwischen zwei und drei Jahren unterschiedliche Mindeststandards ergeben.
  7. Im  Kindertagespflegebereich setzt das Gesetz die Höchstgrenze für die  Betreuungsperson-Kind-Relation bei eins zu fünf fest, ohne Altersdifferenzierungen vorzunehmen. Im Fall einer – abweichend vom Bundesrecht landesgesetzlich gestatteten – Betreuung von mehr als fünf Kindern gleichzeitig durch eine Kindertagespflegeperson ist nach fachlicher Erkenntnis ein Erreichen der Förderungsziele und somit eine Leistung im Sinne des Rechtsanspruchs U3 zumindest zu bezweifeln.
  8. Die Qualifikation der Erzieher/innen in Tageseinrichtungen für Kinder sichern das Fachkräftegebot für Hauptkräfte (§ 72 SGB VIII), das Gebot des Einsatzes von Fachkräften in Tageseinrichtungen (§ 22a Abs. 2 SGB VIII) sowie die Anforderung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis, geeignete Fachkräfte zu beschäftigen (§ 45 Abs. 2 Nr 1 SGB VIII). Bundesrechtlich gefordert ist auch die Sicherstellung gezielter und systematischer Fort- und Weiterbildung. Die nähere Ausgestaltung obliegt Landesrecht, das hinter dem bundesrechtlichen Rahmen indes nicht zurückbleiben darf.
  9. Bei der  Qualifizierung der Kindertagespflegepersonen ist Mindestvoraussetzung zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen die Teilnahme an einer Grundqualifizierung, die hinsichtlich Stundenumfang (160 Stunden) und Inhalten dem vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) eV entwickelten Curriculum „Qualifizierung in Tagespflege“ entspricht. Über diese Grundqualifizierung hinaus ist für die Geeignetheit zur Erfüllung des Rechtsanspruchs U3 eine Inanspruchnahme von Fachberatung und Fortbildung zu fordern.
  10. Bei Kindertagespflege umfasst der Rechtsanspruch U3 eine adäquate und zuverlässige Vertretung in Ausfallzeiten der Kindertagespflegeperson, mit der den Bedürfnissen von Kind und Erziehungsberechtigten nach Kontinuität und Verlässlichkeit Rechnung getragen wird.
  11. Um tatsächlich Förderung im Sinne des Rechtsanspruchs U3 zu erfahren, braucht das Kind ausreichend Zeit für einen Beziehungsaufbau zur bzw zu den Betreuungsperson/en und für einen Einstieg in die Betreuungssituation. Bei der Betreuung in einer Gruppe brauchen Kinder Zeit für die  Entwicklung eines Zugehörigkeitsgefühls und einer Beziehung untereinander. Erforderlich ist daher eine Mindestanwesenheitszeit, um Beziehungsaufbau, pädagogisches Angebot und Förderung möglich zu machen.
  12. Mit Blick auf die Mindestförderungsdauer kann eine Förderung den Forderungen nach Struktur und Kontinuität im Einzelfall noch gerecht werden, wenn das Kind mindestens acht bis zehn Stunden wöchentlich,  verteilt auf mindestens zwei oder drei Tage erzogen, gebildet und betreut wird. Bei der Betreuung in einer Tageseinrichtung dürfte eine Betreuung bspw an nur zwei Tagen in der Woche nur ausnahmsweise den Förderungszielen entsprechen, wenn die Fachkraft-Kind-Relation so niedrig ist, dass die Erzieher/innen gezielt die Integration des Kindes in die Gruppe begleiten können.
  13. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben die Möglichkeit, im Rahmen der beschriebenen Kriterien und Umfänge eine kommunale Festlegung der Untergrenzen für die Mindestbetreuungszeit im jeweiligen Jugendamtsbezirk vorzunehmen, also zu definieren, ab welchem Umfang erst von einer Förderung und damit Leistung nach SGB VIII auszugehen ist. Die Bestimmung muss ausreichend Spielraum lassen für die Berücksichtigung der Umstände im jeweiligen Einzelfall, insbesondere im Hinblick auf das Betreuungssetting, die individuellen Bedürfnisse des Kindes, die Qualifizierung der Betreuungsperson/en und die Größe der Gruppe.
  14. Bei der Festlegung der Tageszeiten für die Mindestbetreuung ist, um tatsächlich Förderung im Sinne des SGB VIII erreichen zu können, zu fordern, dass das Kind in der Mindestanwesenheitszeit von der/den gleichen Betreuungsperson/en und ggf in der gleichen Gruppe von Kindern gefördert wird. Da der Bildungsauftrag in Gruppenbetreuungs-Settings gerade bei Kindern ab dem Alter von zwei Jahren in der Regel während spezieller Angebote erfüllt wird, die nach der Konzeption der meisten Tageseinrichtungen  in den Kernzeiten liegen, kann zum Erreichen der Förderungsziele zusätzlich erforderlich sein, dass die Mindestbetreuungszeit in den Kernzeiten liegt. Diese sind aber nicht so festzulegen, dass sie ausschließlich vormittags und vollständig losgelöst von den erwerbsbedingten Bedürfnissen der Eltern liegen. Um dem unterschiedlichen Umfang des Rechtsanspruchs U3 aufgrund individuellen Bedarfs gerecht werden zu können, wird planerisch regelmäßig sicherzustellen sein, dass bspw der Tagesplan von Tageseinrichtungen und Kindertagespflegegruppen mehrere Kernzeiten beinhaltet und ggf individuelle Förderung außerhalb der Kernzeiten vorsieht für Kinder, die zu diesen Zeiten nicht teilnehmenkönnen.
  15. Bei Spielgruppen handelt es sich nicht um Förderung in Tageseinrichtungen oder Kindertagespflege im Sinne der §§ 22 ff SGB VIII. Kommunen steht es frei, ergänzend zur Tagesbetreuung entsprechende Angebote zu machen. Erziehungsberechtigte haben die Möglichkeit, sie in Anspruch zu nehmen und ihren Rechtsanspruch U3 nicht geltend zu machen. Welches Angebot für Erziehungsberechtigte und Kind am ehesten passt, ist durch qualifizierte Beratung in Erfahrung zu bringen.
  16. Bei einer Betreuung während der Nacht können die Ziele grundsätzlich nur erfüllt werden, wenn zumindest in den Zeiten vor dem Zubettgehen oder nach dem Aufwachen eine Förderung mit Bildung, Erziehung und (nicht nur) Betreuung stattfindet (zB bei gemeinsamem Essen, Singen, Vorlesen oder in einem „Abendkreis“).

IV. Anerkennung eines individuellen Bedarfs

  1. Begehren Erziehungsberechtigte für ihr Kind eine vom bedarfsunabhängigen Grundanspruch hinsichtlich Dauer und/oder Zeitfenster abweichende Betreuungszeit, so fordert das Gesetz hierfür die Geltendmachung eines individuellen Bedarfs.
  2. Nach Vorstellung des Gesetzgebers sollen alle Eltern für ihr Kind ein Förderungsangebot erhalten, das ihren „individuellen Betreuungswünschen“ entspricht. Das Gesetz fordert aber einen „Bedarf“. Ein Rechtsanspruch besteht somit nicht bei jedem persönlichen Wunsch. Notwendig ist, dass die Erziehungsberechtigten objektivierbare Gründe für die abweichenden Betreuungszeiten haben, die aufgrund der Zielsetzung des Gesetzes anzuerkennen sind.
  3. Möglich sind eltern- und kindbezogene Bedarfskriterien.
  4. Beim elternbezogenen Bedarf müssen zunächst die Mindestbedarfskriterien aus der derzeitigen Gesetzesfassung (§ 24 Abs. 3 S. 1 Nr 2 SGB VIII) − erst recht ab August 2013 −Anerkennung finden. Anzuerkennen sind deshalb
    1. die Erwerbstätigkeit der Eltern,
    2. die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder Arbeitssuche,
    3. berufliche Bildungsmaßnahmen, die Schul- oder Hochschulbildung einschließlich einer Promotion
      Diese Kriterien greifen auch und gerade, wenn Alleinerziehende erwerbstätig sein wollen oder sich beruflich qualifizieren.
  5. und die Teilnahme an Fördermaßnahmen zur Eingliederung in Arbeit.
  6. Über diese Bedarfe hinaus sind im Sinne der Intentionen des Gesetzes weitere Bedarfe anzuerkennen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermeidung von beruflichen Nachteilen bzw der Steigerung der Attraktivität der Erziehungsberechtigten auf dem Arbeitsmarkt sowie generell der Verbesserung der Entwicklungschancen von Familien stehen. Anzuerkennen ist daher zum Beispiel der Bedarf an Betreuung des Kindes außerhalb der Kernzeiten, wenn und soweit diese erforderlich ist wegen
    1. der Teilnahme an Integrationskursen,
    2. der Pflege von Angehörigen,
    3. chronischen oder länger andauernden Krankheiten der Erziehungsberechtigten,
    4. besonderer Belastungen wegen Betreuung weiterer Kinder und
    5. je nach den Umständen des Einzelfalls auch bürgerschaftlichen Engagements.
  7. Rein persönliche Interessen der Erziehungsberechtigten (zB Ausgehen oder andere Freizeitaktivitäten, Erledigung von Einkäufen oder Haushalt) müssen dagegen nicht als den Regelanspruch erweiternder Bedarf anerkannt werden.
  8. Ein individueller kindbezogener Bedarf ist insbesondere anzuerkennen, wenn ein Kind in einer besonders belasteten Familie lebt und daher von der Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege besonders profitieren würde, weil es eine seinem Wohl entsprechende Förderung in der Familie nicht in ausreichendem Maß erhält. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn sich der Aufbau einer sicheren Bindung zwischen Kind und Mutter bzw Vater schwierig gestaltet oder wenn die Eltern aufgrund der Entlastung durch die Tagesbetreuung für die Zeit mit dem Kind gestärkt werden können. In der Regel wird dieser besondere Bedarf in den Kernzeiten befriedigt werden können, je Situation in der Familie und weiteren Umständen können jedoch ausnahmsweise auch abweichende Betreuungszeiten angezeigt sein.
  9. Bei Kindern, die in belasteten Familiensituationen leben, ist bei einer über das Regelangebot hinausgehenden Förderungsdauer zu beachten, dass bei (drohender) unsicherer oder desorganisierter Eltern-Kind-Bindung eine Betreuungszeit von mehr als 30 Stunden die Eltern-Kind-Bindung noch verschlechtern kann. Wenn eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung  nicht gewährleistet ist (§ 27 Abs. 1 SGB VIII), kann und darf hierbei die Förderung in Tagesbetreuung kein Ersatz und keine Alternative zur Hilfe zur Erziehung sein, sondern sollte diese vielmehr ergänzen und mit ihr koordiniert werden.

V. Bedarfsunabhängiger Grundanspruch für alle Kinder

  1. Umfang und  Ausgestaltung des bedarfsunabhängigen Grundanspruchs (infrastrukturelles Regelangebot) müssen sich nach den Förderungsbedingungen bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich Kinder bei einer halbtägigen Betreuung während der Kernzeiten am besten integrieren.
  2. Da sich Kinder in der Altersgruppe zwischen Vollendung des ersten und dritten Lebensjahrs besonders gut integrieren, wenn sie an fünf Tagen halbtags betreut werden, erstreckt sich der Grundanspruch hierauf. Der Rechtsanspruch auf einen Halbtagsplatz im Regelangebot umfasst somit eine tägliche Mindestförderung von mindestens vier Stunden von Montag bis Freitag. Soweit beim gewünschten zeitlichen Umfang noch Förderung im Sinne der §§ 22 ff SGB VIII erreicht werden kann, steht den Erziehungsberechtigten frei, auch kürzere Betreuungszeiten für ihr Kind zu beanspruchen.
  3. Bei der Planung der Kernzeitangebote sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe gehalten, die Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der Kinder sowie Personensorgeberechtigten zu berücksichtigen (§ 80 Abs. 1 Nr 2 SGB VIII). Daher sind sie aufgefordert, für das Regelangebot vor Ort nach Möglichkeit eine diversifizierte Angebotsstruktur zu entwickeln (zB ein Kernzeitangebot sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag).

VI. Grenzen des Anspruchs aus Gründen des Kindeswohls

  1. Grundaussagen
    1. Der Rechtsanspruch auf Förderung nach § 24 Abs. 2 SGB VIII gilt nicht für jegliche noch so zeitlich ausgeweitete oder flexible Betreuungswünsche.
    2. Der Anspruch findet seine Grenzen, wenn das Bedürfnis der Eltern nach einer zeitlich besonders umfangreichen oder flexiblen Betreuung so sehr im Widerspruch zu den Interessen des Kindes an Stabilität und Kontinuität steht, dass die Betreuung mit dem Kindeswohl nicht mehr zu vereinbaren ist.
    3. Bei der Prüfung der Grenzen des Rechtsanspruchs U3 sind die Bedürfnisse des einzelnen Kindes zu berücksichtigen, bspw wenn ein Kind Schwierigkeiten zB mit der Gruppenkonfiguration hat, besonders sensibel, geräuschempfindlich oder leicht überreizt ist oder größere Schwierigkeiten mit Veränderungen hat.
    4. Unabhängig davon können  allgemeine Grundsätze und Relationen konstatiert werden, die losgelöst vom Einzelfall von Bedeutung sind:
      1. Je jünger die Kinder, umso kürzer die Höchstdauer der für das Kind noch förderlichen außerfamiliären Betreuung.
      2. Je länger und/oder flexibler die Betreuung, umso größer die Anforderungen an die Qualität und die Bedeutung des Betreuungssettings, vor allem im Hinblick auf die Anwesenheit einer dem Kind gut vertrauten Betreuungsperson.
      3. Je näher die Förderung an einer Halbtagsbetreuung und an einer Betreuung an möglichst vielen, aufeinanderfolgenden Wochentagen, umso leichter fällt Kindern die Integration in Gruppen.
  2. Höchstdauer der Betreuung
    1. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Kind auch eine längere Trennung von den Eltern bewältigen kann, wenn es bei einer bestimmten Betreuungsperson eine neue Sicherheitsbasis gefunden und Zutrauen zu ihr gefasst hat. Um zu verhindern, dass das Kindeswohl durch eine Überforderung der Anpassungsfähigkeit des Kindes, eine Erschütterung seines Sicherheitsgefühls und eine Beeinträchtigung der Beziehungsqualität zu den primären Bezugspersonen gefährdet wird, ist eine zeitliche Obergrenze für den Förderungsanspruch erforderlich.
    2. Hinsichtlich eines konkreten Stundenmaßes für eine zu lange Begrenzung der Betreuung hat die Forschung uneinheitliche Ergebnisse hervorgebracht. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Bedürfnisse von Kindern umso eher in ihren Familien erfüllt werden sollten, je jünger sie sind. Da bei Kindern im zweiten Lebensjahr das Bindungsverhalten noch besonders schnell aktiviert wird und die frühkindliche Bindungsphase häufig noch nicht abgeschlossen ist, spricht einiges für Altersunterscheidung zwischen Kindern bis zum Alter von zwei Jahren und Kindern im Alter zwischen zwei und drei Jahren. Mit fortschreitendem Altern kann mit Blick auf das Kindeswohl eine Ausweitung der Höchstgrenzen erfolgen.
    3. Zur rechtsanspruchsgestützten Ausweitung des zeitlichen Umfangs kommen bspw Kombinationsmodelle zwischen Kindertagespflege und Tageseinrichtungen in Betracht, bei denen das Kind im (ersten bzw) zweiten Lebensjahr zunächst ausschließ-lich von einer ihm gut vertrauten Kindertagespflegeperson betreut wird, die dann ggf die Eingewöhnung in eine Tageseinrichtung durchführt, aus der sie das Kind im Anschluss an eine halbtägige Betreuung abholt und anschließend selbst betreut.
    4. Was die Grenzen eines möglichen Betreuungsumfangs aus beruflichen oder vergleichbaren Gründen betrifft, so dürfte im Hinblick auf die noch verbleibende Zeit für die Eltern-Kind-Beziehung eine Betreuung von neun Stunden täglich und 45 Stunden wöchentlich (unter Beachtung der Ermöglichung einer Vollzeittätigkeit zuzüglich Anfahrtszeit) die absolute Obergrenze darstellen. Eine Übernachtung von 19 Uhr abends bis 7 Uhr morgens ist hierbei insoweit nicht unbedingt als 12-Stunden-Betreuung zu werten.
  3. Flexibilisierung der Betreuungszeiten
    1. Zur Erfüllung gesellschaftlicher und familiärer Ansprüche und zur Verwirklichung individueller beruflicher Tätigkeiten von Eltern ist eine  Flexibilisierung der Angebotean Tagesbetreuung erforderlich. Unter flexibler Betreuung sind Angebote zu verstehen, in denen Familien ihre Betreuungszeiten je nach ihrem Bedarf festlegen können.Grundsätzlich  ist  auch eine flexible, vom Regelanspruch abweichende Betreuung aufgrund eines individuellen Bedarfs vom Förderungsanspruch umfasst, wenn dies aufgrund der Erwerbstätigkeit (zB im Schichtdienst) oder wegen eines anderen anerkennungsfähigen Bedarfs erforderlich ist.
    2. Erforderlich, damit die Flexibilität dem Kindeswohl nicht widerspricht, ist eine besonders qualifizierte Betreuung. Notwendig ist eine kindgerechte Planung gemeinsam mit den Eltern im Rahmen von Buchungsberatung, möglichst durch einen zentralen Dienst im Jugendamtsbezirk. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann das Kind im Einzelfall auch Vorteile aus flexibilisierten Betreuungszeiten ziehen (Förderung von Selbstständigkeit und Organisationsvermögen, Ermöglichung anderer Gruppenzusammensetzungen ohne allzu feste Strukturen ohne Ausweich- und Distanzierungsmöglichkeiten, Minimierung von Stress im Familienalltag, größere Zufriedenheit der Eltern).
    3. Die Sicherung des Kindeswohls erfordert aber  Grenzen der Flexibilisierung. Grundbedingungen für eine kindeswohlförderliche flexible Tagesbetreuung U3 können zunächst über die Mindestbetreuungszeiten erreicht werden.
    4. Um zumindest bei der Gruppenbetreuung zu gewährleisten, dass Kinder in Zeiten anwesend sind, in der sie am Gruppengeschehen teilnehmen können, ist das Kind ggf zusätzlich zu den benötigten Stunden auch zu anderen Zeiten zu fördern und sind ggf entsprechende Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Im Fall der Gruppenbetreuung ist bei der Planung auch zu berücksichtigen, dass die Kinder möglichst nicht während laufender Stundenblöcke gebracht oder abgeholt werden bzw sich die Eltern bestmöglich am Tagesablauf der Einrichtung orientieren.
    5. Um dem kindlichen Bedürfnis nach verlässlichen Strukturen gerecht zu werden, ist in jedem Fall flexibler Betreuung erforderlich, dass für Kinder ein wiederkehrender erkennbarer Tagesablauf gestaltet wird (zB durch einen Raumwechsel bei Früh- zu Haupt- und Spätschichten, durch bestimmte Rituale auch außerhalb der Kernzeiten, durch gemeinsame Mahlzeiten usw).
    6. Flexible Betreuung erfordert besonders qualifiziertes Betreuungspersonal sowie in besonderem Maß das Vorhandensein einer dem Kind vertrauten Betreuungspersonbei möglichst  wenig Betreuerwechseln. In Kindertagespflege kann auf flexible Betreuungsbedarfe daher häufig am besten eingegangen werden, da hier in der Regel eine konstante Anwesenheit der gleichen Betreuungsperson gewährleistet ist.
  4. Eingewöhnung, Buchungsberatung und Betreuung in Nachtzeiten
    1. Für die  Eingewöhnungsphase wird eine möglichst konsequente Anwesenheitspflicht an möglichst vielen Wochentagen empfohlen, auch wenn die späteren Betreuungszeiten davon abweichen.
    2. Eine gezielte und einfühlsame Buchungsberatung kann eine den kindlichen sowie den elterlichen Bedürfnissen entsprechende Regelung, die Reduzierung von Bring- und Abholstress sowie ggf einen Ausgleich massiv variierender elterlicher Arbeitszeiten durch bewusst längere, dafür aber kontinuierliche Betreuungszeit ermöglichen.
    3. Eine Betreuung über Nacht dürfte wegen des in flexibler Betreuung sowie insbesondere wegen des bei Müdigkeit besonders aktivierten Bindungsverhaltens nur in einem sehr familiären Setting mit dem Kindeswohl vereinbar sein. Besonders wichtig ist hierbei, dass eine dem Kind gut vertraute Betreuungsperson sowohl vor dem Schlafengehen als auch während der Schlafzeit und beim Aufwachen anwesend ist, dass die Kinder den Ort der Betreuung gut kennen und dort bereits gut eingewöhnt sind. Mit dem Kindeswohl vereinbar erscheint bspw ein Setting in Kindertagespflege, bei dem der Ort der Betreuung für das Kind zu einem zweiten Zuhause geworden ist und verlässliche Vertrautheit bietet. Eine 24-Stunden-Kita wird dagegen für Kinder in den ersten drei Lebensjahren teilweise als generell nicht förderlich angesehen.

VII. Wunsch- und Wahlrecht (§ 5 SGB VIII)

  1. Lösen Erziehungsberechtigte für ihr Kind den „Rechtsanspruch U3“ ein, steht ihnen das  Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 SGB VIII zu. Danach sind den Erziehungsberechtigten weitreichende Spielräume bei der Auswahl der für ihr Kind passenden frühkindlichen Förderung eingeräumt.
  2. Die Erziehungsberechtigten haben zum einen das Recht, im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts die Art der Tagesbetreuung zu wählen, also die Förderung in einer Tageseinrichtungen oder die Förderung in Kindertagespflege. Zum anderen haben sie das Recht, eine bestimmte Tageseinrichtung oder Kindertagespflegeperson zu wählen.
  3. Das Wunsch- und Wahlrecht ist stets beschränkt auf das tatsächlich zur Verfügung stehende Angebot. Förderung in einer Tageseinrichtung oder bei einer Kindertagespflegeperson, die nicht bereits vorhanden und verfügbar ist, kann über das Wunsch- und Wahlrecht somit nicht gefordert werden.
  4. Allerdings hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe das Wunsch- und Wahlrecht bereits im Rahmen der Bedarfsplanung zu berücksichtigen. Er hat daher entsprechend der erwartbaren Wahl der Erziehungsberechtigten  sowohl Plätze in Kindertageseinrichtungen als auch in Kindertagespflege vorzuhalten.
  5. Das Wunsch- und Wahlrecht zwischen der Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege ist auch bei der Kostenbeteiligung zu beachten. Differenzierungen sind im Hinblick auf die Gleichrangigkeit der Angebote, das Gebot der Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enge Grenzen gesetzt. Regelmäßig unzulässig ist daher bspw, wenn bei Förderung in Kindertagespflege die Kostenbeteiligung im selben Jugendamtsbezirk deutlich höher ausfällt.
  6. Es besteht keine durchsetzbare Verpflichtung, für jeden Einzelfall freie Plätze sowohl in Tageseinrichtungen als auch in Kindertagespflege vorzuhalten. Insbesondere im Fall von Betreuungswünschen außerhalb der üblichen Betreuungszeiten von Tageseinrichtungen, etwa in den Abend- und Nachtstunden, wird aus organisatorischen Gründen davon auszugehen sein, dass der Anspruch in Kindertagespflege erfüllt werden kann. Weiterhin muss auch im ländlichen Bereich und vor allem in kleinen Splittersiedlungen gegebenenfalls eine Kindertagespflegeperson (oder aber ein längerer Fahrweg) akzeptiert werden.
  7. Es gibt keine räumliche Begrenzung des Wahlrechts auf den Einzugsbereich des für das Kind örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers. Die Eltern können für ihr Kind deshalb unter anderem auch eine Einrichtung oder Tagespflegestelle mit besonderer pädagogischer Ausrichtung (zB Waldorfkindergarten) oder religiöser Bindung und überörtlichem Einzugsbereich oder eine Betreuung am Arbeitsplatz wählen.
  8. Für den Fall der Wahl einer privat-gewerblichen Einrichtung ist zu beachten, dass eine Förderung den Ländern freigestellt ist. Fehlt eine solche landesrechtliche Regelung, so kann die Erfüllung des Rechtsanspruchs U3 nicht mit der Forderung nach einem Platz in einer solchen Einrichtung eingefordert werden. Allerdings kann der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Rechtsanspruch U3 auch dann erfüllen, wenn er auf die Tageseinrichtung eines privatgewerblichen Trägers verweist, insbesondere wenn diese in die kommunale Bedarfsplanung aufgenommen ist.
  9. Das Wunsch- und Wahlrecht ist begrenzt durch den  Mehrkostenvorbehalt.  Die Kosten für die gewählte Tagesbetreuung dürfen nicht unverhältnismäßig höher sein als die Kosten für die von der Kommune angebotene, zumutbare Betreuung. In diesen Kostenvergleich müssen Förderungsbeiträge (auch im Fall der Pauschalfinanzierung) auf beiden Seiten mit einbezogen werden. In der Praxis werden Mehrkosten bis zu 20 % in der Regel als nicht unverhältnismäßig anerkannt. Ausgenommen vom Mehrkostenvorbehalt ist die Wahl eines Platzes in einer Tageseinrichtung für Kinder anstelle einer Förderung in Kindertagespflege.

VIII. Zumutbarkeit der angebotenen Betreuung

  1. Der „Rechtsanspruch U3“ ist nur erfüllt, wenn der angebotene Platz im Einzelfall zumutbar ist. Dabei ist neben dem Erfordernis eines wohnortnahen Platzes vor allem die Qualität des Betreuungsangebots von Bedeutung.
  2. Das Prinzip der Wohnortnähe bedeutet, dass die Tageseinrichtung oder Tagespflegestelle vom Wohnort des Kindes in vertretbarer Zeit erreichbar sein muss, dh in angemessener Entfernung zu Fuß oder auf sicherem Weg mit öffentlichen Verkehrs-17mitteln. Der Grundsatz der Ortsnähe kann bei unzureichender Kinderzahl für den Betrieb einer Tageseinrichtung eine Einschränkung erfahren (zB im ländlichen Bereich).
  3. Ein  qualitativ unzureichendes Angebot, das sich insbesondere aus Defiziten bei der Gruppengröße, beim Personalschlüssel oder bei der Qualifizierung des Betreuungspersonals ergeben kann, kann zur Unzumutbarkeit und damit zur Nichterfüllung des Rechtsanspruchs U3 führen. Wenn die  Erziehungsberechtigten die Inanspruchnahme eines Platzangebots in einer Gruppe zurückweisen, in der die landes- bzw bundesrechtlichen Vorgaben nicht beachtet sind, verliert ein Kind seinen Anspruch nicht. Verstöße sind auch im Rahmen der Aufsicht durch die überörtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu sanktionieren.
  4. Bei der Förderung in Tageseinrichtungen sichert eine Einhaltung der landesrechtlichen Vorgaben zu  Gruppengröße, Personalschlüssel und personeller Ausstattung regelmäßig die Erfüllung des Rechtsanspruchs U3. Für die Kindertagespflege ist eine maximale Gruppengröße von fünf gleichzeitig anwesenden Kindern vorgegeben (§ 43 Abs. 3 S. 1 SGB VIII). Soweit landesrechtliche Regelungen für Großtagespflegestellen eine höhere Kinderzahl für zulässig erklären, dürften wissenschaftlich anerkannte Mindeststandards der Erteilung einer Kindertagespflegeerlaubnis für die Betreuung von unter dreijährigen Kindern in einer Gruppe von über fünf Kindern entgegenstehen.
  5. Beim Betreuungspersonal in einer angebotenen Tageseinrichtung ist zur Erfüllung des Rechtsanspruchs U3 das in der Regel landesrechtlich näher definierte Fachkräftegebot (§ 22a Abs. 2 SGB VIII, § 72 SGB VIII) einzuhalten. Bei Kindertagespflegepersonen ist mindestens zu fordern, dass eine Grundqualifikation erfolgreich absolviert wurde, welche den Anforderungen des DJI-Curriculum sowohl in Bezug auf den zeitlichen Umfang von mindestens 160 Stunden als auch auf die Inhalte entspricht.
  6. Wünschen die Leistungsberechtigten eine weltanschaulich neutrale Einrichtung, so kann das Angebot eines Platzes in einer  Einrichtung mit einem dezidiert religiös oder weltanschaulich geprägten Konzept oder der Praktizierung einer Religion nicht anspruchserfüllend sein.
  7. Im Bereich der Kindertagespflege ist wegen der spezifischen einzelpersonenbezogenen Betreuungssituation das Angebot nur im Fall einer echten Wahlmöglichkeit zumutbar. Als Mindestanforderung zur Erfüllung des Rechtsanspruchs ist das Angebot mehrerer Kindertagespflegepersonen zu fordern. Als Mindestanzahl bietet sich in Anlehnung an medizinische Begutachtung das Angebot von drei Kindertagespflegepersonen an.

Keine Pflicht zur Inanspruchnahme

IX.  Keine Pflicht zur Inanspruchnahme Tagesbetreuung U3 zur Vermeidung finanzieller Transfer- und Versicherungsleistungen

  1. In den ersten drei Lebensjahren ihres Kindes können  Eltern im Leistungsbezug nach SGB II oder SGB XII auch nach dem 1. August 2013 durch die Jobcenter oder Sozialämter weder auf die Möglichkeit verwiesen und verpflichtet werden, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, noch auf die Möglichkeit, den Anspruch ihres Kindes auf Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege geltend zu machen (§ 10 Abs. 1 Nr 3 SGB II, § 11 Abs. 4 S. 3 u. 4 SGB XII). Es besteht keine indirekte Arbeits- und damit Pflicht zur Inanspruchnahme von Tagesbetreuung. Unter den derzeitigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen könnte der Gesetzgeber den Bezug von Leistungen zum Lebensunterhalt nicht davon abhängig machen, dass Eltern, die ein Kind in dessen ersten drei Lebensjahren betreuen, arbeiten gehen und ihr Kind außerfamiliär betreuen lassen, ohne hierbei Grundrechte der Eltern zu verletzen.
  2. Wollen Erziehungsberechtigte mit Kindern im Alter unter drei Jahren, die im Leistungsbezug nach SGB II oder SGB XII stehen, nach dem 1. August 2013 eine Erwerbstätigkeit vermittelt bekommen und ihr Kind in dieser Zeit in einer Tageseinrichtung oder bei der Kindertagespflegeperson erziehen, bilden und betreuen lassen (vgl § 16a Nr 1 SGB II), haben ihre Kinder hierauf Anspruch wie alle anderen Kinder. Nehmen sie für ihr Kind  Tagesbetreuung aufgrund freien Entschlusses  in Anspruch, ist ihnen zumutbar, in dieser Zeit eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, und können die Jobcenter dies auch fordern.

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